Was in anderen Familien das Gästezimmer ist, wurde in Anne Schönhartings Familie das »Afrikazimmer« genannt. Es befand sich bis vor kurzem in einer Doppelhaushälfte in Diera bei Meißen. Dort zog es in der Nachwendezeit in das Haus der Eltern ein. Vier Generationen lang war das »Afrikazimmer« der Ort für die Sammlung des Urgroßvaters Willy Klare. Dieser war von 1907 bis 1914 im Auftrag einer Liverpooler Handelsgesellschaft als Kakaoplantagen-Verwalter im heutigen Äquatorialguinea tätig und trug zahlreiche Objekte zusammen, darunter Waffen, Alltagsgegenstände, Tierpräparate und Schmuck. Zusätzlich sind hunderte Fotografien sowie Briefe und Postkarten aus dieser Zeit erhalten. Über vier Generationen hat die Familie an dieser Sammlung festgehalten, sie immer wieder neu für sich in den Wohnräumen arrangiert und durch eigene Reisesouvenirs erweitert. Zu DDR-Zeiten war das Zimmer identitätsstiftend, ein Symbol für Ferne und Weite, für die Freiheit zu reisen. Afrika galt als Sehnsuchtsort, der koloniale Hintergrund der Artefakte blieb weitgehend unreflektiert, die Provenienz unhinterfragt.
Nach dem Tod der Eltern sah sich die Fotografin persönlich mit diesem Erbe konfrontiert — und setzt es in ihrer Arbeit und diesem Buch nun in veränderte Kontexte. Mit ihren eigenen Bildern und Reproduktionen der ererbten Artefakte und Fotografien begibt sich Anne Schönharting auf eine assoziative Reise in eine ihr unbekannte Historie und tritt bewusst ein in einen persönlichen Dialog mit der Vergangenheit ihrer Familie, mit der deutschen und europäischen Geschichte und der ganz privaten, als auch gesellschaftlichen kolonialen Verantwortung.
Über die Fotografin
Anne Schönharting (*1973), seit 1999 Mitglied bei OSTKREUZ, verschiedene Preise und Stipendien, Einzel- und Gruppenausstellungen, seit 2019
Co-Geschäftsführerin der Agentur OSTKREUZ-Agentur der Fotografen. Das Erbe ist ihr erstes Buch. Sie lebt und arbeitet in Berlin.
Ausstellung
Im Rahmen der Ostkreuz-Ausstellung KONTINENT – Auf der Suche nach Europa, Akademie der
Künste, Pariser Platz, Berlin, 2.10.2020 bis 4. April 2021
Ausgewählte Presse
taz
Deutschlandradio | Interview
3 sat-Kulturzeit
Der Tagesspiegel
Chrismon