Seit einem Jahrzehnt arbeitet die Künstlerin Andrea Grützner (*1984 in Pirna) an ihrer fotografischen Serie im Landgasthof “Erbgericht Polenz“ in Ostsachsen. Das Gebäude, das sie seit ihrer Kindheit fasziniert, verweist in seinem Namen auf eine regionale Kulturgeschichte, die bis ins Mittelalter zurückreicht und die Gerichtsbarkeit betraf. Sein Inneres birgt eine historisch gewachsene Material- und Raumcollage, an die sich seit seiner Eröffnung 1898 Erinnerungen und Emotionen der Einheimischen knöpfen. Andrea Grützner zeigt nicht vordergründig das vertraut Nostalgische und Stereotype der Provinz wie die Wirtsstube mit Geweihen. Stattdessen inszeniert sie aufwendig mit teils farbigem Blitzlicht das menschenleere, verwinkelte Interieur vor ihrer analogen Fachkamera. Entstanden ist ein avantgardistisches Labyrinth aus intensiv bunt leuchtenden Schattengeometrien, die Raumfragmente und Gegenstände malerisch überlagern und in ihrem magischen Realismus zugleich auf subjektiv und kollektiv eingefärbte Erinnerungsräume und utopische Raumvisionen verweisen. Die groß doppelseitig abgebildeten, im Buch um 90 Grad gedrehten abstrakten Bildkompositionen erzeugen ein spielerisch, rätselhaftes Vertigo, das nach und nach eine Dechiffrierung der Dinge und Gebrauchsspuren anstößt. Verstärkt wird der Sog dieses außergewöhnlichen Bildkosmos durch die Umsetzung im erweiterten 7-farbigem Offsetdruck und die taktile Schichtung unterschiedlicher Oberflächen, die den künstlerischen Prozess reflektieren.
Gefördert durch die Kulturstiftung des Freistaat Sachsen und die ArsVersa Kunst-Stiftung, Freiburg