Ost-Berlin in den Achtzigern
In Anlehnung an den Ausspruch des französischen Filmregisseurs Robert Bresson »Mach sichtbar, was vielleicht ohne dich nie wahrgenommen worden wäre«, fotografierte der Berliner Fotograf Günter Steffen zwischen 1984 und 1989 einen beeindruckenden Zyklus über Ostberlins Mitte, in der er damals lebte und arbeitete. Meistens in den frühen Morgenstunden streifte er durch scheinbar unberührte und leere Straßen, Plätze, Hinterhöfe, Ruinen und an der monströsen Berliner Mauer entlang. Die geisterhaft wirkende Atmosphäre der Szenerien hielt er mit seiner Kleinbildkamera in grobkörnigen z.T. überstrahlten Schwarzweiß-Fotografien fest. Die so entstandenen Bilder sind für ihn Zeugnisse damaliger Lebensgefühle wie Hilflosigkeit, Zerrissenheit und Wut – eine Endzeitstimmung, auch ausgelöst durch den vielfachen Verlust von Freunden, die in den Westen ausreisten.
Dieser Untergangsstimmung in Steffens Fotografien stehen ausgewählte Textfragmente aus dem 1920 in der Sowjetunion geschriebenen dystopischen Roman »WIR« von Jewgenij Samjatin (*1884 Lebedjan, † 1937 Paris) gegenüber. Dieser politisch brisante Vorläufer weiterer berühmter dystopischer Romane, ist die alptraumartige Beschreibung eines totalitären Überwachungsstaates. Zuerst 1924 von Exilanten im Ausland veröffentlicht, durfte der im gesamten Ostblock auf dem Index stehende Roman erst 1988 in der Sowjetunion unter Gorbatschow erscheinen.
Günter Steffen wurde 1941 in Berlin geboren. Physikstudium an der Humboldt-Universität Berlin (Diplom 1967). Daran anschließend Tätigkeit als Wissenschaftlicher Assistent. 1976 Beginn der freiberuflichen Arbeit als Fotograf mit Schwerpunkt Dokumentar- und Straßenfotografie. Dazu ausgedehnte Reisen in Regionen der ehemaligen Sowjetunion (Mittelasien, Kaukasus, Aralsee). Neben der Realisierung einiger Buchprojekte übernahm er auch Aufträge im Bereich der Werbefotografie. Heute lebt er in Templin (Uckermark). Die Publikation wurde mit Mitteln des Hauptstadtkulturfonds ermöglicht.
Austellung
5.11.–18.12.2021, Argus Fotokunst, Berlin
Ausgewählte Presse
Deutsche Welle
radio eins – Interview zwischen Marion Brasch und Günter Jeschonnek
Deutschlandfunk Kultur – Lesart, Frank Dietschreit, 22.1.2022, ab Min 13.20
Neues Deutschland – Frank Schirrmeister, 28.2.2022
3SAT Kulturzeit, 22.3.2022
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